Bewältigung von Essstörungen: Wie Yoga hilft

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Die Beitragsreihe „Essstörungen: Wie Yoga hilft“ wird euch in drei aufeinander aufbauenden Teilen nahebringen warum sich Yoga als komplementäre therapeutische Intervention bei Essstörungen eignet und sogar anbietet.

Die letzten 10 Jahre meines beruflichen Lebens widmete ich unter anderem der Essstörungsforschung. Meine Beiträge sollen deshalb in erster Linie dazu dienen Essstörungen und ihre Ursachen zu verstehen.

Außerdem liegt es mir am Herzen aufzuzeigen, dass die Wege des Yoga zahlreiche Möglichkeiten und Methoden bieten, die den Betroffenen helfen können ihre grundlegenden inneren Überzeugungen über sich selbst, die Welt die sie umgibt und die Mitmenschen zu hinterfragen, zu überdenken, ggf. zu verändern und bewusst mit Geduld anzugehen. Überzeugungen, die meist ohne bewusstes Wissen die Essstörung noch aufrechterhalten.

Yoga hat die Macht unsere Wirklichkeit zu modulieren. Verändert sich die Art und Weise wie wir unser Leben betrachten, hat das Einfluss auf die Welt die uns umgibt und mit der Zeit auch auf unser emotionales Erleben. Bevor die Wege des Yoga bei Essstörungen näher dargestellt werden, soll in einem ersten Schritt eingegrenzt werden was Essstörungen überhaupt sind.

Essstörungen: was verbirgt sich dahinter?

Essstörungen entstehen durch seelische Belastungen, die über den Körper und sein grundlegendes Bedürfnis sich zu ernähren ausgetragen werden. Betroffene Menschen manipulieren ihre Nahrungsaufnahme in der Hoffnung, dass die Veränderung ihres körperlichen Aussehens auch die dahinterliegenden Emotionen (ich bin dick = hässlich = schlecht –> keiner liebt mich) verändert. Die Betroffenen sind fälschlicher Weise der Überzeugung, dass alle ihre Probleme schwinden, haben Sie doch endlich ihr Idealgewicht erreicht. Somit ist die grundlegende Gemeinsamkeit aller Essstörungs-Formen das eigene Gewicht zu kontrollieren und/oder zu reduzieren.

Statistik Yoga

Ferner haben Essstörungen einen suchtartigen Charakter, der in dem wiederholten, ständigen unkontrollierbaren Gedankenkreisen über Nahrung und Gewicht zum Ausdruck kommt (Baeck & Sidi-Jacoub, 2004).

Betroffene messen alle internen (emotionalen) sowie externen (sozialen) Erfahrungen anhand ihres körperlichen Erscheinungsbildes und der Zahl auf ihrer Waage. Ein zwanghafter Druck, das Gewicht zu kontrollieren entsteht.

Der Versuch die sich selbst auferlegte strikte Kontrolle aufrechtzuerhalten führt allerdings zwangsläufig zum Kontrollverlust und somit dazu, dass sich das Essproblem verstärkt.

Immer wieder scheitern essgestörte Menschen an den sich selbst auferlegten diätetischen Regeln und dem Versuch das Grundlegende menschliche Bedürfnis zu essen zu unterdrücken oder sogar, wie es bei Anorexia Nervosa der Fall ist, zu ignorieren.

Der „diagnostische und statistische Leitfaden psychischer Störungen“ (DSM IV) unterscheidet zwischen drei Hauptformen der Essstörung: Anorexia Nervosa (Magersucht), Bulimia Nervosa (Ess-Brech-Sucht) und nicht näher klassifizierten Essstörungen (Mischformen aus Anorexie und Bulimie) (APA, 1994).

Die Gemeinsamkeit aller 3 Hauptformen der Essstörungen nach Hilde Bruch (*1904-†1984), der weltweit führenden Fachautoritäten zu Essstörungen sind:

1. Vorliegen einer Körperschemastörung¹

¹Körperschemastörung ist ein vom Patienten definierter Belastungszustand, der zeigt, dass der Körper nicht mehr länger das Selbstwertgefühl einer Person unterstützt und sich störend auf die Person auswirkt, indem er (u. a.) ihre sozialen Beziehungen begrenzt (Doenges, 2002).

2. Störung der propriozeptiven¹ und interozeptiven² sowie emotionalen Wahrnehmung

¹Wahrnehmung von Körperbewegungen und Körperlage im Raum
² die Komponenten der Wahrnehmung, die Informationen über die eigenen Körperabschnitte und Körperteile liefert

3. Ein alles durchdringendes Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit¹

¹“Unzulänglichkeit beschreibt das Gefühl schlecht, minderwertig oder unerwünscht zu sein. Die Betroffenen haben das Gefühl, dass sie es niemals wert sein werden, von anderen Liebe, Aufmerksamkeit oder Respekt zu erhalten, egal wie sehr sie sich darum bemühen“ (Jacob & Arnts, S. 18)

Bist Du betroffen?

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) listet die folgenden Punkte auf, die Dir dabei helfen sollen herauszufinden wie es um Dich und Dein Essverhalten steht und ob Du von Essstörungen betroffen bist:

  1. Beginnt der Tag mit einem Blick auf die Waage?
  2. Vermeidest Du es, in den Spiegel zu schauen?
  3. Bist Du unzufrieden mit Deinem Aussehen und Deiner Figur?
  4. Hast Du Angst vor Übergewicht oder davor zuzunehmen?
  5. Zählst Du Kalorien?
  6. Hast Du ein zunehmendes Interesse an der Nahrungszusammensetzung?
  7. Schmiedest du immer wieder Diätpläne?
  8. Weißt Du genau, wie viel Du essen darfst?
  9. Isst Du nur selten das, was Du möchtest?
  10. Lässt Du Mahlzeiten regelmäßig ausfallen?
  11. Weißt Du, wie sich Satt Sein anfühlt?
  12. Spürst Du einen starken Drang, das Essen direkt nach den Mahlzeiten wieder los zu werden?
  13. Ziehst Du Dich immer mehr aus sozialen Kontakten zurück?
  14. Bleibt Deine Regel aus oder ist die Regel unregelmäßig?
  15. Bist Du körperlich sehr aktiv?
  16. Bist Du in der Schule, der Ausbildung, im Beruf und im privaten Bereich sehr leistungsorientiert?

Yoga bei Essstörungen oder „zurück zu sich selbst“

Der Yoga ist eine Disziplin, die das Wirken des Körpers und des Geistes als eine untrennbare Einheit betrachtet. Eine Disziplin die beide Aspekte wieder ins Gleichgewicht zueinander bringt. Essstörungen sind Störungen des Körpers und des Geistes. Das notwendige Gelichgewicht zwischen diesen fundamentalen Aspekten ist bei Betroffenen gestört. Sie sind psychologische Syndrome, die durch emotionales Leiden den Körper schädigen, da sie über diesen ausgetragen werden. Betroffene sind bemüht das persönliche Glück dadurch zu finden, dass sie ihren Körper verändern. Sie suchen Ihr Glück im Außen, sind davon abhängig wieviel Sie wiegen, wie ihr Körper aussieht und durch andere und sich selbst wahrgenommen wird: „Wenn ich schlank bin, werde ich glücklich, erfolgreich und geliebt“.

Und genau hier gründet der Yogaphilosophie zu Folge das maßgebliche, die Essstörung aufrechterhaltende Problem, DENN:

Das Glück lässt sich nicht im Außen finden! Das ist eine der fundamentalsten Selbsttäuschungen.

Das Suchen vom Glück im Außen kann nur Unglück bedingen und wird im Aittreya Uppanishad (110-700 vor Chr.) als Avidya bezeichnet- das Nichtwissen. Das Nichtwissen bezieht sich allerdings nicht auf die tatsächliche Unwissenheit sondern auf ein vorhandenes, aber falsches Wissen.

Bei Essgestörten ist es die fälschliche Annahme, dass die Modellierung des Körpers Glück, Liebe und Zufriedenheit nach sich zieht. Eine trügerische Täuschung, wird Avidya doch als die Quelle betrachtet, aus der das Leid entsteht. Sie verschleiert nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern lässt uns die greifbare Wahrheit (z. B. „ich bin schön – so wie ich bin, ich bin schlank“) nicht erkennen.
Avidya (Nichtwissen/Täuschung) ist das Ergebnis lebenslanger Erfahrungen, die uns lehrten in spezifischen Situation auf eine bestimmte Art zu empfinden, zu denken, zu verstehen und zu handeln. So auch bei Menschen die unter Essstörungen leiden: bereits der kleinste Körper- oder Nahrung bezogene Reiz kann bei Betroffenen bewusst und unbewusst große Ängste auslösen die aufgrund von Avidya nicht richtig eingeordnet und verstanden werden können. Ferner verstärken negative Emotionen sowohl die Essstörung an sich als auch die bei Betroffenen vorherrschenden Essen, Körper und Gewicht bezogenen Ängste. Betroffene suchen die Ursachen für ihr Leid im körperlichen Erscheinungsbild, wo sie sie aber nicht finden. Der Körper ist nicht schuld daran, dass sie leiden.

Mehr als nur der Körper

Das Anamaya Kosha (Upanischaden) liefert eine logische Erklärung, die aus yogischer Sicht die Schwierigkeiten bei Essstörungen eingrenzt: Es besagt, dass die wirklichen geistigen Probleme dort ansetzen wo der Körper als die Summe dessen angesehen wird was wir sind. In anderen Worten bedeutet das, dass die Identifikation mit dem Körper sowie die Überbewertung der Körperlichkeit für das Unglück der unter Essstörungen leidenden Menschen mitverantwortlich sind. Und genauso verhält es sich! Für essgestörte Menschen steht und fällt alles mit der Zahl auf der Waage und mit der Aufrechterhaltung der selbstauferlegten Kontrolle der körperlichen Bedürfnisse. Befriedigung und Glück sind hier fest mit der Körperlichkeit verknüpft.

Der Yoga hingegen postuliert, dass wir mehr sind als der Körper. Der Körper wird hier lediglich dazu genutzt den Geist in Disziplin, Geduld, Mitgefühl und Hingabe zu schulen.
Ein Bild welches die Aufgaben des Körpers im Yoga besonders gut verdeutlich ist die Darstellung von Krishna als Wagenlenker in der Bhagavad-Gita, dem Gesang Gottes. Eine Erklärung des Bildnisses findet sich bereits in den Katha-Upanischaden (400 v. Chr):

„Erkenne den Atman als den Herrn der Kutsche. Der Körper ist der Wagen, die Buddhi (Vernunft) der Wagenlenker und das Denken die Zügel. Die Sinne sind die Pferde, die Objekte die Wege“. (II.3-4).

Die Bhagavad-Gita beschreibt den Dialog zwischen der inneren Essenz, die durch Krishna verkörpert wird, und der menschlichen Seele, die Arjuna darstellt. Das Schlachtfeld wird als eine Metapher vom Leben beschrieben, und die feindlichen Heerscharen, gegen die Arjuna antreten muss, verkörpern die zahlreichen menschlichen Schwächen, die besiegt und überwunden werden müssten. Essstörungen sind solche „menschlichen Schwächen“.

Wenn wir es nun durch beständiges, konsequentes Üben schaffen unseren Geist zu schulen, unsere Sinne zu zügeln und sie von den „Objekten“ der Welt abzuziehen, die uns krank machen ist der erste Schritt in Richtung psychische und körperliche Gesundheit getan. Wie aber zieht man die Aufmerksamkeit von dem ab was unser menschliches Überleben sichert – von der Nahrungsaufnahme? Das Stichwort heißt „Desillusionierung“.

Der Yoga Weg lässt uns, wenn wir ihn bewusst und konsequent gehen all die Täuschungen erkennen, die sich aufgrund unserer Lebenserfahrungen in unser aller Leben manifestiert haben und ermöglicht uns sich nach und nach und von ihnen zu befreien. Die „Ent-Täuschung“ führt dazu dass Betroffene besser in der Lage sein werden, zu begreifen, dass nur Sie allein durch eine klare Entscheidung Richtung Gesundheit die Essstörungen besiegen können. Die Übernahme der vollen Verantwortungen für seine Gedanken, Handlungen und auch „Nicht-Handlungen“ ist ein wesentlicher Bestandteil des Yoga Weges.

Yoga hilft uns den Weg zu uns selbst wieder zu finden und konsequent und mutig zu beschreiten. Wie der Yoga hilft und was genau Du praktisch tun kannst um in kleinen Schritten ein neues, freies Leben zu beginnen erfährst Du in nächstem Beitrag: 
Wenn Essen krank macht:
Teil 2. Wie Yoga hilft

5 thoughts on “Bewältigung von Essstörungen: Wie Yoga hilft

  1. Katharina says:

    in den 1,5 % der Essgestörten sind wohl nicht die ganzen Menschen enthalten, die unter Essucht, Binge-Eating Disorder und Sport-Bulimie leiden. Schade und zu kurz gegriffen. Yoga ist ja anscheinend eh nichts für Dicke, oder? Btw. ein Schreibstil wie bei einem UNi-Essay im ersten Semester. Namaste.

    • Anne Steinbach says:

      Hi Katharina! Danke für deinen Kommentar. Yoga ist etwas für Jedermann… Wir haben sogar einen Artikel auf der Seite, der sich eben genau mit Yoga-Übungen befasst, die passend für Menschen mit ein bisschen mehr auf den Hüften sind. Schau doch mal nach 😉 Gerne nehmen wir auch einen Artikel von dir an, der sich mit ein wenig Yogakritik befasst, wenn du Lust drauf hast? Schreib mir doch einfach: anne@asanayoga.de

  2. Maria Wolke says:

    Liebe Katharina, vielen Dank für Deinen Kommentar. Yoga ist etwas für Jedermann, unabhängig von Alter, Statur oder körperliches Gebrechen, da Yoga dazu da ist den Geist (und den Körper) zu heilen….Eine wissenschaftliche Schreibweise passt glaube ich nicht zu Yoga asana, meinst Du nicht? Herzlichst, Maria

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