Tagebuch eines reisenden Yogalehrers – Teil 1

Ich unterrichte Yoga in fünf Ländern und so dachte ich, lieber Freund, es wäre Wert, einen kleinen Artikel darüber zu drucken. Wollen Sie? Meine Reise begann im Mai in Slowenien, wo ich im Haus einer buddhistischen Nonne übernachtete. Tags darauf wanderte ich in ein Gasthaus nahe Bled, schüttelte Ryushin Paul Haller die Hand, einem alten Zen Meister, und ehemaliger Abt des Zen Zentrums in San Francisco. Nach fünf Tagen schüttelte ich ihm erneut die Hand und wanderte zurück nach Bled, weiter nach Ljubljana und von dort aus mit dem Zug nach Opatija, Kroatien.

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Meine Großmutter fragte, was ich in den fünf Tagen getan hätte; nun gut, ich sagte es ihr. Und sie schwieg, und wir schwiegen zusammen, und das war gerade das, was ich in Slowenien getan habe: sitzen und – in der Tradition des Soto Zen – schweigen. Ich unterrichtete tags darauf in Opatija zweimal täglich, eine Morgen- und eine Nachmittagseinheit. In meiner Klasse waren zehn bis zwölf Hotelgäste, darunter ein Zugführer aus Österreich, der, wenn er kein Yoga machte, flüssiges Stahl transportierte. Ich unterrichtete eine weitere Woche in Kroatien und fuhr nach Trieste, wo ich in der Nähe des Bahnhofs eine Nacht blieb. Ich schlief in einem Zimmer, das in alten Stein gehauen war, es wirkte recht wie eine Höhle, und es fehlte der Bär, um mich aufzufressen. Doch guter Stimmung war ich, und blickte voraus, was mich erwarten könnte, wenn ich am nächsten Morgen das Hotel verließ.

Zu meiner Überraschung traf alles ein. Eine Stunde vor Abfahrt des Zuges stand ich bereit und fand meinen Sitz; der Zug fuhr ab in Richtung Rom, ich schlief ein und machte mir zuvor einige Notizen. Überhaupt schrieb ich sehr viel auf dieser Fahrt. Gibt es viele Yogalehrer, die Romane schreiben? Zumindest hoffte ich, träumend, auf eine Generation von Yogalehrern, mit welchen man sich austauschen konnte über Balsac und Rimbaud, über Hamsun und Strindberg. Und schrieb weiter meine Notizen, welche zu dem Roman gehören, an welchem ich seit sechs Monaten arbeite.

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Der Bahnhof von Rom war sehr laut, die Menschen im Gewühl ihres Geistes. Ich stieg ein oder zweimal um, bevor ich Casperia
erreichte; ein kleines, altes, hoch am Berg gelegenes Steindorf, nicht unähnlich zu Sibenik, wo ich fünf Jahre gelebt hatte. Ich unterrichte hier von Freitag bis Dienstag zweimal täglich Yoga, für Gäste aus aller Welt. In der ersten Woche Gäste aus Deutschland und der Schweiz, in der zweiten Woche eine Gruppe von Iren. Unter den Iren gab es eine Nase, welche mir recht gut gefiel. Sie war um die ganze Welt gereist, hatte gespeist mit Herrn A. B. Raj, dem berühmten indischen Regisseur, kannte Gott, die Welt, und vielleicht einige mehr. Es verbindet mich seit unserer Begegnung eine tiefe Freundschaft.

Tatsächlich ist Yoga eine Kunst, welche zu 10% auf der Matte, zu 90% außerhalb der Matte ausgeübt wird.

Die Freundschaften, die entstehen, die Wertschätzung füreinander, für andere Kulturen: selten findet
man eine Bewegungsform, die so zahlreiche Verbindungen schafft. Übrigens verweigere ich jeden Ansatz eines Kopf- oder Handstandes, denn im Sommer kommen die Menschen, um sich zu entspannen. Die entspanntesten Yogis sind die Anfänger, denn sie haben keine Ideen im Kopf. Und so müssen sie keine Träne weinen, wenn kein Handstand geübt, keine Brücke gebaut, keine Fliege gesummt wird, sondern sind glücklich über feine, aber gut koordinierte Übungen. Wozu den Urlaub auf dem Kopf verbringen?

Mittwochs ist mein freier Tag und verbringe ihn im Pantheon oder dem Complesso del Vittoriano (darin: eine schöne Ausstellung des großen Baldinis, eine recht furchtbare des Herrn Botero, und beide Tür an Tür!). Ich rettete mich aus dem Schwindel von Rom und kehrte in mein Altstädtchen zurück, gelegen irgendwo in der Mitte von Sabina. Ich bleibe noch zwei Monate, und unterrichte später im Sommer in der Schweiz, Kroatien, Österreich und Deutschland. Die Reise endet am 15.Oktober 2017; zu diesem Zeitpunkt, hoffe ich, habe ich den Roman beendet, welchen ich täglich, zwischen dem Unterricht, sorgsam füttere.

Lieber Freund, wollen Sie mehr über meine Yogareise hören? Sie dauert noch fünf Monate und gerne schicke ich Ihnen alle zwei oder drei Wochen einen Brief. – Es grüßt recht freundlich, Ben, Yogalehrer und Schriftsteller.

[yellowbox]Ben ist gerade in fünf Lehrern als Yogalehrer unterwegs und schreibt dabei regelmäßig für Asanayoga. Teil 1 seiner Reise findest du hier, Teil 2 der Reise kannst du hier lesen, hier ist Teil 3. Folgt Ben außerdem auf seinen beiden Websites: als Yogalehrer & als Schriftsteller.[/yellowbox]

4 thoughts on “Tagebuch eines reisenden Yogalehrers – Teil 1

  1. Petra Wölker says:

    Hallo Ben,

    ich wünsche Dir weiterhin eine schöne Yogareise in diesem Sommer und ganz viel Erfolg mit Deinem Roman. Gerne denke ich noch an die super schöne Yogawoche mit Dir in Opatja im letzten Herbst zurück!

    Namaste aus Ostbevern!

    Petra

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