Tagebuch eines reisenden Yogalehrers – TEIL 6

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Liebe Freundin, lieber Freund, auf meinen Reisen spreche ich mit den unterschiedlichsten Menschen. In meine Yogaklassen kommen einfache und komplizierte Menschen, arme und reiche, große, dicke und dünne. Sie alle verbindet eines: Der Wunsch, in Ihrem
Inneren zu entspannen, und, seit neustem, die Sorge um das allgemeine Weltgeschehen. Dem Wunsch ihrer inneren Entspannung versuche ich soweit es möglich ist nachzukommen. Dies versuche ich durch Einführung in Meditation und verschiedene
Yogaformen, immer öfter durch Yin Yoga, eine Yogaform, die entspannend ist und Menschen, die ihr Körpergefühl verloren haben, die alt sind, durchaus erreicht. Was den allgemeinen Weltzustand angeht, so kann ich nicht mehr weiterhelfen, als Ihnen recht zu
geben, dass der allgemeine Weltzustand tatsächlich bedenklich sei. Aber was nützen solche Wiederholungen?

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In meiner Yogaklasse in Kroatien war gestern ein Mitarbeiter eines großen amerikanischen Internet-Konzerns. Er reist an 300 Tagen im Jahr durch die Welt und kann sich ein Urteil über die Stimmung auf dieser Erde bilden. Er meinte, in einem Nebensatz, es müsse eine Kulturrevolution geben, und diese müsse in Kürze weltweit einsetzen, anstatt einen Tag länger zu warten. Von einer solchen verspräche man sich einen besseren Umgang mit Ressourcen, besseren Umgang miteinander – (ich warf ein: bitte, ein feineres Angebot in Kunst und Literatur; er nickte) – schließlich aber vor allem einen gesünderen Umgang mit sich selbst. Die Selbsterkenntnis stellten wir bei unserem Gespräch an die erste Stelle. Ich warf ein, es dürfe Politikern nur gestattet sein, große Entscheidungen zu treffen, wenn sie in ihrem Inneren entspannt oder zumindest zu hundert Kniebeugen in der Lage seien.

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Der Yogalehrer mit revolutionärer Miene.

Ein entspannter Mensch beginnt keinen Krieg und leidet weniger unter Angstzuständen. Sollte man nicht wünschen, was Platon vor tausenden Jahren gefordert hat, einen Philosophenstaat? In diesem Staate müsste der Yogalehrer eine besondere Rolle spielen. Er sollte verantwortlich sein, die Verantwortlichen zu entspannen und nach bestem Gewissen zu pflegen. Schließlich in der Lage sein, die heile Welt seines Yogastudios zu verlassen und in die Geschicke des Lebens direkt einzugreifen. Und schließlich, eine Tomate in die Erde zu pflanzen, anstatt sie in einem Supermarkt, unter all den Verpackungen, einzukaufen. Wäre dies sinnvoll?

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ogi in Bronze; Park Opatija

Allenfalls ist zu befürchten, wenn der Yogalehrer, Physiotherapeut, Masseur, SPAManager unpolitisch bleibt, dass ihre Kunst ungenügend ist, sich am Weltzustande nichts ändert. So fordere ich mit diesem Briefe eine neue Ausbildung des
Entspannungstherapeuten
, gleichzeitig sein Recht, sich in die Politik einmischen zu dürfen, durch seine zarten Hände. Sollte Zärtlichkeit, die Wiedererlangung des Gefühls, den Obersten weiter verborgen bleiben, so lange bleiben sie auch uns verborgen, deren Bedürfnisse sie nicht nachempfinden. Wir hoffen, liebe Freundin, lieber Freund, dass wir unsere Revolution morgen, vielleicht zum 03.Oktober, begönnen, und in jeder Stadt einen Anführer wählten, welcher hinausginge, die Entspannungstherapeuten zu entsenden. Bliebe dies nur kein Konjunktiv! Wir lebten bald, ach schon sehr bald, im Imperativ
versteinerter Zeiten. – Es grüßt schön, der Ihre, Ben, Yogalehrer und Schriftsteller.

[yellowbox]Ben ist gerade in fünf Lehrern als Yogalehrer unterwegs und schreibt dabei regelmäßig für Asanayoga. Teil 1 seiner Reise findest du hier, Teil 2 der Reise kannst du hier lesen, hier sind Teil 3, Teil 4 und Teil 5. Folgt Ben außerdem auf seinen beiden Websites: als Yogalehrer & als Schriftsteller.[/yellowbox]

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